Ex-Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) steht vor Gericht. Die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) klagt den früheren Partei- und Regierungschef wegen des Verdachts der Falschaussage vor dem Ibiza-U-Ausschuss am 24. Juni 2020 an. Der Strafantrag umfasst mehr als 100 Seiten, dem früheren Kanzler drohen bis zu drei Jahre Haft. Er hat die Vorwürfe immer vehement bestritten. Auch Kurz' ehemaliger Kabinettschef Bernhard Bonelli sowie die frühere Casinos-Austria-Managerin Bettina Glatz-Kremsner stehen vor Gericht und bestreiten die Vorwürfe.
Verdacht der Falschaussage
Die Kurz-Anklage: „Ein starkes Motiv“
Von Stefan Melichar, Max Miller und Anna Thalhammer
Worum geht es in der Causa Falschaussage?
Mehr als zwei Jahre lang hat die WKStA ermittelt. Unter anderem geht es um die Frage, wie intensiv Kurz in die Bestellung von Thomas Schmid zum Chef der Staatsholding Öbag eingebunden war. Schmid war zuvor bekanntlich als mächtiger türkiser Strippenzieher im Finanzministerium aktiv gewesen. Die WKStA ermittelte zu vier möglichen Falschaussagen, die Kurz am 24. Juni 2020 getätigt haben könnte:
- „Nein“
Neos-Mandatar Helmut Brandstätter hatte den damaligen Bundeskanzler gefragt:
„Bis zu dem Zeitpunkt, an dem er (Anm.: Schmid) Ihnen gesagt hat: ,Ich möchte mich für diesen ausgeschriebenen Posten bewerben!', haben Sie mit ihm nie darüber gesprochen, dass er das werden könnte?“
Kurz antwortete laut Protokoll unter Wahrheitspflicht:
„Nein, es war allgemein bekannt, dass ihn das grundsätzlich interessiert, und es war sicherlich auch so, dass immer wieder davon gesprochen wurde, dass er ein potenziell qualifizierter Kandidat wäre.“
Eingebunden im Sinne von informiert, ja.
soll im U-Ausschuss nicht die Wahrheit gesagt haben, vermutet die WKStA. Kurz bestreitet den Vorwurf.
- Informiert oder eingebunden?
Auf die Frage des SPÖ-Abgeordneten Jan Krainer, ob Kurz im Vorfeld in die Bestellung von Schmid eingebunden gewesen war, antwortete der damalige ÖVP-Chef:
„Eingebunden im Sinne von informiert, ja.“ Die Entscheidung sei aber beim Aufsichtsrat der ÖBAG gelegen, dieser hätte sie auch getroffen, so Kurz.
- Wer hat entschieden?
Auf die Frage der Neos-Abgeordneten Stephanie Krisper, ob er Wahrnehmungen habe, wie der Aufsichtsrat der Öbag besetzt wurde, antwortete Kurz:
„Grundsätzlich treffen die Minister, die zuständig sind, ihre Entscheidungen. Im Regelfall werde ich danach informiert, manchmal werde ich vorher um die Meinung gefragt.“
- Wozu Deals?
Auf Fragen des Neos-Abgeordneten Helmut Brandstätter nach einer Vereinbarung zwischen Schmid und dem FPÖ-Berater Arnold Schiefer sagte Kurz laut U-Ausschuss-Protokoll er habe „keine Ahnung, was die vereinbart haben“.
Sebastian Kurz
Kriegst eh alles was du willst 😘 😘 😘
Thomas Schmid
Ich bin so glücklich :-)))
Ich liebe meinen Kanzler 👍 👍 💪 💪
Chats auf dem Handy von Thomas Schmid ließen bei der Neos-Abgeordneten Stephanie Krisper Ende März 2021 Zweifel am Wahrheitsgehalt dieser Aussagen aufkommen. So schrieb Schmid etwa im März 2019, wenige Tage vor seinem Dienstantritt als ÖBAG-Chef an Kurz: „Bitte mach mich nicht zu einem Vorstand ohne Mandate. Das wäre ja wie Wiener Stadtrat ohne Portfolio“. Kurz antowortete: „kriegst eh alles was du willst“. Darauf Schmid: „Ich bin so glücklich“ –„Ich liebe meinen Kanzler“
Krisper zeigte den damaligen Kanzler daher wegen des Verdachts der Falschaussage vor dem U-Ausschuss an. Die WKStA nahm daraufhin Ermittlungen auf – und brachte nun einen sogenannten Strafantrag bei Gericht ein. Dieser richtet sich auch gegen den ehemaligen Kabinettschef von Sebastian Kurz, Bernhard Bonelli, sowie gegen die frühere Casinos-Austria-Managerin Bettina Glatz-Kremsner. Die Bonelli vorgeworfenen mutmaßlichen Falschaussagen beziehen sich ebenfalls hauptsächlich auf das Öbag-Thema. Der Verdacht gegen Glatz-Kremsner bezieht sich auf Aussagen zu anderen Themenbereichen, die sie sowohl vor dem U-Ausschuss als auch als Zeugin im Ermittlungsverfahren der WKStA unter Wahrheitspflicht getätigt hatte. Sie strebte ursprünglich eine Diversion an, die ihr aber von der Staatsanwaltschaft letztlich nicht gewährt wurde. Alle haben strafrechtliches Fehlverhalten immer bestritten. Ob tatsächlich Recht gebrochen wurde, muss nun das Gericht klären.
Der eingebrachte Strafantrag sei zu akzeptieren, ließ Glatz-Kremsners Verteidiger Lukas Kollmann wissen: „Meine Mandantin ist jedoch sehr zuversichtlich, dass sie ihren Standpunkt gegenüber dem Gericht umfassend darlegen wird können und geht sie von einem positiven Verfahrensausgang aus.“ Ex-Kanzler Kurz teilte über die Social-Media-Plattform X (früher Twitter) noch vor Bestätigung der Anklage mit: „Die Vorwürfe sind falsch und wir freuen uns darauf, wenn nun endlich die Wahrheit ans Licht kommt und sich die Anschuldigungen auch vor Gericht als haltlos herausstellen.“
Warum hat sich die WKStA für eine Anklage entschieden?
Die Staatsanwaltschaft darf nur anklagen, wenn ihr nach der Abwägung aller Beweise und Indizien eine Verurteilung wahrscheinlicher erscheint als ein Freispruch. Auch die Oberstaatsanwaltschaft Wien, der Weisungsrat und das Justizministerium sind dieser Einschätzung gefolgt. Wie in prominenten Causen üblich, musste die WKStA ihr Anklagevorhaben von ihren Obenbehörden im Rahmen der Weisungskette absegnen lassen.
Werner Suppan, Anwalt von Sebastian Kurz und der ÖVP, hingegen ließ schon lange im Vorhinein wissen, dass 30 Zeuginnen und Zeugen mit ihren Aussagen im Ermittlungsverfahren seinen Mandanten entlastet hätten. Ex-Öbag-Chef Schmid, der in Zusammenhang Vorwürfen gegen seine Person Kronzeugenstatus anstrebt, hatte den Ex-Kanzler hingegen in seinem Geständnis weiter belastet.
Wie wird sich Sebastian Kurz vor Gericht verteidigen?
Seine Verteidigungslinie gab der frühere Kanzler bereits vorab dem Gericht und der Öffentlichkeit bekannt. Kurz' Anwalt Otto Dietrich argumentiert, dass die WKStA die Aussagen des früheren ÖVP-Chefs falsch interpretieren würde. Außerdem hätte die Opposition im U-Ausschuss aktiv versucht, die Befragten in eine Falschaussage zu verwickeln. Auch für den Fall, dass das Gericht dennoch eine Falschaussage sehen sollte, baut der Ex-Kanzler vor: Die Voraussetzung für einen Aussagenotstand sei "jedenfalls gegeben", heißt es im Anwaltsschreiben. Sollte der Ex-Kanzler eine allfällige Falschaussage getätigt haben, um die Gefahr strafrechtlicher Verfolgung abzuwenden, würde dies Straffreiheit in der Frage der Falschaussage bedeuten.
Muss Sebastian Kurz ins Gefängnis?
Das muss nun ein Gericht klären. Doch selbst bei einer Verurteilung ist eine unbedingte Gefängnisstrafe bei einem unbescholtenen Bürger unwahrscheinlich. Mit Blick auf den Präventionsgedanken erschwerend wirken könnte freilich der Umstand, dass eine allfällige Falschaussage in diesem Zusammenhang von einem aktiven Bundeskanzler gegenüber einer zentralen politischen Kontrollinstanz getätigt worden wäre. Selbst bei einer Verurteilung zu einer unbedingten Haftstrafe wäre allerdings eine Verbüßung mittels Fußfessel eine mögliche Variante.
Warum wird Kurz erst drei Jahre nach der möglichen Falschaussage angeklagt?
Das hat mehrere Gründe. Zunächst einmal wurde die Anzeige Ende März 2021 erst ein Dreivierteljahr nach der Befragung im U-Ausschuss im Juni 2020 eingebracht. Erst dann begann die WKStA zu ermitteln. Die Frage der möglichen Falschaussage steht außerdem in einem größeren Kontext: Sie ist Teil der Ermittlungen im Casag-Akt. Zentrale Indizien fand die WKStA auf dem Handy von Thomas Schmid. Hinzu kommt, dass Kurz zu Beginn der Ermittlungen noch amtierender Bundeskanzler war. Alleine die Klärung der Frage, ob die WKStA ihn überhaupt einvernehmen kann oder ob das nur ein Richter darf, nahm einige Zeit in Anspruch. Letztlich wurde Sebastian Kurz am 3. September 2021 von einem Richter im Beisein der WKStA als Beschuldigter befragt – mit Pausen dauerte die Einvernahme von 13.00 bis 19.30 Uhr. Allein das Protokoll des Kanzler-Verhörs ist 143 Seiten lang. Darüber hinaus hat die WKStA zahlreiche Zeugen befragt.
Ich gebe zu, ich war vielleicht nicht sonderlich gut vorbereitet.
Sebastian Kurz
gab an, sich im Sommer 2020 im Vorfeld kaum mit dem U-Ausschuss beschäftigt zu haben.
Denn für eine Verurteilung müsste die WKStA nachweisen, dass Kurz die Unwahrheit gesagt hat – und zwar bewusst. Ein einfacher Versprecher kann auch dem ehemaligen Kanzler passieren: „Ich gebe zu, ich war vielleicht nicht sonderlich gut vorbereitet“, sagte der Ex-Kanzler etwa bei seiner Einvernahme. Auch die Stimmung im U-Ausschuss könnte eine Rolle spielen. Je aufgeheizter die Atmosphäre, desto eher werden Fehler gemacht. Das stenografische Protokoll der Ausschusssitzung reicht folglich nicht, auch die Tonaufnahmen müssen geprüft werden.
Seit Ende 2022 sind die Ermittlungen der WKStA abgeschlossen, doch alleine kann sie in einer derart prominenten Causa nicht entscheiden. In einem „Vorhabensbericht“ erklärte die Staatsanwaltschaft Anfang des Jahres ihren Vorgesetzten, warum sie anklagen will. Dieser Bericht ging zunächst an die Oberstaatsanwaltschaft Wien und dann an das Justizministerium. Dort beschäftigte die Causa den Weisungsrat, ein Beratungsgremium an dessen Empfehlungen sich die Justizministerin in der Regel hält. Grundsätzlich hatte der Weisungsrat keine Einwände. Lediglich bei einem oder einer der Angeklagten wünschte das Gremium aber noch eine Überarbeitung. Diese Änderung musste allerdings dann wieder von Oberstaatsanwaltschaft und Justizministerium kontrolliert werden. So verstrich vom Ende der Ermittlungen bis zur Anklage mehr als ein halbes Jahr.
Welche Folgen hat das Verfahren?
Bisher hatten die Ermittlungen wegen Falschaussage vor allem Folgen im U-Ausschuss: Immer mehr Auskunftspersonen gaben an, nicht antworten zu wollen, um nicht versehentlich eine Falschaussage zu tätigen. Zumindest in einigen Fällen dürfte es sich dabei aber um ein vorgeschobenes Argument gehandelt haben.
Für die Volkspartei bedeutet die Anklage eine weitere finanzielle Bürde: Die ÖVP trägt die Anwaltskosten ihres früheren Parteichefs.
Was bedeutet das für andere Ermittlungen gegen Kurz?
Recht wenig. Kurz wird auch in der Inseraten-Affäre rund um mutmaßlich Steuergeld finanzierte und zumindest teilweise manipulierte Umfragen in der Mediengruppe „Österreich“ als Beschuldigter geführt. Darüber hinaus ermittelt die WKStA auch in jenem Strang der Inseraten-Affäre gegen den Ex-Kanzler, der sich um die „Kronen Zeitung" und die Gratiszeitung „Heute“ dreht. Und auch der frühere Leiter des Integrationsfonds belastet den Ex-Kanzler. Kurz und alle anderen Betroffenen – abgesehen von der Kronzeugin Sabine Beinschab und dem potenziellen Kronzeugen in spe Thomas Schmid – haben sämtliche Vorwürfe immer bestritten. Dass während des Prozesses in der Causa Falschaussage diesbezüglich neue Details ans Licht kommen, scheint eher unwahrscheinlich. Allerdings zeigt die Anklage, dass Österreichs Justiz durchaus bereit ist, auch einen Ex-Kanzler vor Gericht zu stellen.
Max Miller
ist seit Mai 2023 Innenpolitik-Redakteur bei profil. Hat ein Faible für visuelle Kommunikation, schaut aufs große Ganze und kritzelt gerne. Zuvor war er bei der "Kleinen Zeitung".
Author: Renee Nguyen
Last Updated: 1703423403
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Name: Renee Nguyen
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